Der Heidenheimer Schäferlauf
Zum Leben einer echten Gemeinschaft gehören Feste, die allerorts
üblichen und jahrhundertealten Volksfeste. In Heidenheim hat über 200 Jahre
hindurch das Schäferlauffest ein sehr starkes, ursprüngliches Brauchtum
aufgezeigt; an den festlichen Tagen fand jeweils das Wesen schwäbischer,
ländlicher Sitten einen überaus reizvollen Ausdruck. Die Schäfertage
brachten Poesie in die gemütsärmere Zeit; in aller Herzen klang ein inniges
Lied aus unserer Väter Jugendtagen, und alle Festbesucher erlebten die eigenartigsten
Erscheinungsformen bäuerlichen Standesbewußtseins vergangener Zeiten.
Stadtverwaltung und Gemeinderat von Heidenheim gaben mir seit dem Jahre
1928 die Ehre, kultureller Gestalter der Schäferlauffeste und vor allem
der damit verbundenen Festzüge zu sein. Ich darf daher, nachdem mit der
Abhaltung des Schäferlaufes wohl für Iängere Zeit aus vielerlei Gründen
nicht gerechnet werden kann, dem großen, bedeutsamen Volksfest der Ostalb
eine besondere Abhandlung widmen.
Zur Geschichte der Schäferfeste
Aus einer Eigentümlichkeit des württembergischen Schäfereiwesens,
daß nämlich bei uns die Schäfer eine eigene Zunft bilden, Und die bis zum
heutigen Tage beliebten Schäferfeste zu erklären. Das Hüten einer Herde
durch einen nicht gelernten Schäfer war nämlich in Württemberg von jeher
bei Strafe verboten. Außerdem war jeder Schäfer verpflichtet, sich bei derjenigen
Schäferlade, in deren Sprengel er den Sommer über seine Schafe weiden wollte,
einzukaufen. Über die Zeit der Entstehung der Schäferzunft fehlen nähere
Anhaltspunkte; aber es ist nachgewiesen, daß es schon seit uralter Zeit
üblich war, die Schafhirten zu vereidigen. So finden wir in einer herzoglichen
Verordnung vom Jahre 1579, welche die Taglohngebühren verschiedener Handwerker
reguliert, die Schäfer neben Schmieden, Schlossern und Schreinern als Handwerker
mit aufgeführt. Und in der Schafordnung vom Jahr 1651, welche einen Teil
der württembergischen Handwerksordnung bildet, ist des Schäfertags zu Markgröningen,
allwo die Schäfer in den Regeln der Zunft unterwiesen sowie auf dieselben
vereidigt wurden, und der zu besuchen wenigstens alle jungen Schäfer verpflichtet
waren, als eines alten Herkommens Erwähnung getan. Zum erstmaligen Erscheinen
auf dem Schäfertag waren alle diejenigen Personen verpflichtet, welche im
Laufe des Jahres als Schafknechte angenommen worden waren, um allda von
den Ob-und Kertzenmeistern sich examinieren zu lassen, "ob sie alle
einem erfahrenen Schäfer nötige Wissenschaft erlangt und waa sie nicht wissen,
sich informieren, auch alsdann, ob sie einer Herd Schaff vorzustehen düchtig
erfunden worden, ein Atestatum ertAilen zu lassen, ohne welches keiner für
einen Meisterschäfer gehalten, noch ihnen ein Hauff Schaff weiteres anvertravt
werden solle." In Markgröningen also stand für ganz Württemberg
die Schäferlade, in welche alle Genossen der Schäferzunft ihre Leggelder
zu bezahlen hatten. Eine solche Lade, meist stark mit: Eisenblech beschlagen,
hatte mehrere Schlösser, zu denen die Schlüssel in verschiedenen Händen
waren, so daß einer allein die Lade nicht öffnen konnte; alle Dinge von
Gewicht mußten vor offener Lade verhandelt werden.
Heidenheimer Schäfertage
seit 1724
Von der Verpflichtung zum Besuch der jährlichen Zusammenkunft
in Markgröningen wurden die Schäfer erst im Jahre 1723 entbunden. Denn da
hat Herzog Eberhard Ludwig von der Markgröninger Schäferzunft, die, wie
gesagt, ursprünglich das ganze Herzogtum umfaßte, drei "Nebenladen",
d. h. Tochterzünfte abgetrennt, zwei für die Albschäfer, die dritte für
die Schwarzwaldschäfer. Der Sitz für jene wurden Heidenheim und Urach, für
diese Wildberg. Jede der beiden Nebenladen bekam als Zunftfest einen
Schäferlauf. Während der Wildberger seit etwa 60 Jahren abgegangen ist,
bestand der Uracher immerfort, und der Heidenheimer, der 1828 einging, wurde
nach fast hundertjähriger Pause erst in den Jahren 1922, 1928, 1937, 1949
und 1952 wiederum gefeiert. Wie wir auch durch die Heidenheimer Gemeinderechnungen
1724/25 erfahren, gestattete also der Herzog, "daß neben der Hauptlade
aller Schäfer zu Markgröningen noch drei Nebenladen, wie vor alters auch
gewesen, zu Heidenheim, Urach und Wildberg errichtet werden und die erste
Zusammenkunft der Schäfer der Städte und Ämter Heidenheim, Göppingen, Königsbronn,
Anhausen, Herbrechtingen, Blaubeuren-Stadt und Klosseramt, Heubach und Brenz
auf Johannisfeiertag 1724 angestellt, ein Schäferlauf gehalten und all dasjenige,
was sonsten in Schäfereisachen bei der Zusammenkunft in Markgröningen traktiert
wird, auch dies Orts beobachtet werden soll; ein solches ist der hochfürstliche
Befehl vom 5. Juli 1723." So erwuchs denn dem Gemeinderechner die
Aufgabe, eine grüntaffetne Fahne mit Floretband anzuschaffen. Diese alte,
prächtig gestaltete Fahne, die im Heimatmusevm auf Schloß Hellenstein gut
aufgehoben war, blieb bis zum Jahre 1937 erhalten; sie wurde damals durch
einen Gewittersturm völlig zerstört. In der Mitte der einen Seite zeigte
sie das Stadtwappen, auf der anderen Seite das Landeswappen und in den vier
Ecken je ein Schäflein. Getreu nach der alten Fahne wurde bereits für das
Schäferfest 1928 eine neue Fahne angefertigt.
Verlauf des Schäferfestes
in alter Zeit
Aus einer Schilderung vom Jahr 1802 können wir uns ein treffendes
Bild über die bescheidenen, doch sehr frohen Feststunden machen: "Unsere
Bürger und deren Ehefrauen müssen sich wegen des Schäfertages nicht erst
aus dem Kalender Rat einholen. Man spricht doch schon den ganzen Sommer
lang über alle Einzelheiten, und man sieht es täglich an mancherlei, daß
der Tag des Schäferlaufes naht. Handwerksleute schlagen die Krambuden auf,
Kaufleute stellen sich mit ihren großen Kisten ein, und mit ihnen gleich
Zugvögeln Musikanten und Schnurranten, die fahrenden Schüler, die Künstler,
Künstlerinnen und Spielbudeninhaber und was dergleichen Volks mehr ist.
Und jede Häuserpforte wird mit Grün geschmückt. Am Festmorgen aber gehen
die Angehörigen der Schäferzunft und die in großer Zahl herbeigekommenen
Landleute in stattlichem, durch die Einheimischen verstärktem Zuge in die
Kirche; lebt doch im Schwabenländle noch die Sitte, jede Festlichkeit mit
frommem Gebete zu weihen. Nach der Kirche bewegt sich der Zug zum Festplatz,
dem ehemaligen Schießplatz des Schützenvereins, den sogenannten "Schießwiesen"
am Wildwasserbett, von denen heute die Schieß- und die Wiesenstraße ihre
Namen haben: Voraus die Stadtwache mit einer Musikkapelle, die den ,Schäfermarsch'
bläst, einen Marsch von ganz ureigentümlicher Melodie, in längst vergangenen
Zeiten von einem musikalischen Schäfer komponiert für Flöte, Klarinette
und Dudelsack. Hinter der Musik folgt der Stadtschäfer mit der Biegenden
Fahne der Schäfer, inmitten festlich geputzter Schäfermeister, alle mit
langen Schäferstäben und neuversilberten Schippen versehen; hierauf die
Schäfer und Schäfermädchen, die um den Hammel laufen wollen, und endlich
die Beamten der Stadt und des Oberamts, Ratsherren und Zunftmeister und
deren Ehegesponsen mit ihren stolz aufgeputzten Töchtern. Rotgekleidete
Metzger (Metzger und Schäfer gehörten ehedem derselben Zunft an) sorgen
für Ordnung."
Die Durchführung des
Schäferlaufes
Auf dem Festplatz aber beginnt der Wettlauf der Schäfer
und Schäferinnen je unter sich:
Seht, da eilen sie schon mit dem dichten Geleite des
Volkes, Unter dem lieblich ertönenden Laut der Schalmeien und Flöten,
Die behendesten Schäfer und Schäferinnen des Landes, Nach dem Platze
des Festes der jüngstgemäheten Kornflur. Alle schmücket ein leichtes
Gewand von bläulichster Farbe, Rötliche Bänder umgürten den Leib
und die bräunlichen Locken, Und die schneeigte Leinwand verhüllt
den vollendeten Busen. Jetzt, nachdem sie gesamt die Bühne des Kampfes
erreichet, Siehe, da stellen sich nun am obern Ziele des Kampfes
Hin die Läufer, entfesselt das Knie und entblößet den Fuß, Brennend
von Gier nach der Ehre des Siegs, sich untereinander Selbst entflammend,
erwarten mit hingeheftetem Blicke Sie das Zeichen zum Wettlauf.
Die Burschen springen zuerst um die Wette auf dem 300 Schritt
langen Stoppelfeld, dann die Mädchen. Was schadet's, wenn auch die Füße
von den spitzigen Stoppeln blutig gerissen sind: Den Siegern gehört ja die
Ehre und der Ruhm des Tages, sie werden mit goldglänzender, scharlachgefütterter
Krone gekrönt. Rasch umfaßt der Schäferkönig seine "Königin" mit
der Rechten und führt mit ihr unter schallenden Pauken und Trompeten auf
dem Stoppelfeld vor der Tribüne einen Tanz auf, zu welchem von Tausenden
Beifall geklatscht wird. Einen buntgeschmückten Hammel erhält das Siegespaar
mit den Kronen, während die übrigen Preise unter die anderen Wettrenner
im Verhältnis der bewiesenen Schnelligkeit verteilt werden. So stiftete
beispielsweise die Stadt Heidenheim im Jahr 1731 rote und weiße Strümpfe,
blaue, rote und grüne Bänder, ein blauseiden und ein halbseiden Tüchlein,
30 Dutzend lange und 60 Dutzend kurze Nestel.
Die Festabzeichen
der Schäfer
Die Nestel, lange, schmale Streifen von buntfarbigem Schafleder
mit metallenen Spitzen an beiden Enden, sind das Abzeichen der Schäfer,
und darum darf am Schäfertag dieses eigentümliche "Ordenband"
auch auf keiner Brust fehlen. Nicht bloß die Männer tragen Nestel (man befestigt
sie auf der linken Seite des Rockes ins erste Knopfloch, oder auch auf dem
Hut), sondern Frauen und Mädchen in Seidengewändern haschen darnach, ihre
linke Brust mit jenen grün und rot schimmernden Lederstreifchen zu schmücken.
Nestel, Nestel wer keine Nestel trägt, gehört nicht zum Schäferlauf; wer
andern Tags nach Hause kommt, ohne Nestel mitzubringen, von dem glaubt kein
Mensch, daß er beim Schäferlauf gewesen ist. Darum werfen auch die den Zug
begleitenden Reiter ganze Ladungen von Nesteln aus, und wer Lust hat, balgt
sich drum. Am Ende der Darbietungen geht der Festzug zur Stadt zurück, wo
ein Tanz im "Öhrn" des Rathauses und ein Festessen in den verschiedenen
Wirtschaften mit weiteren Tanzbelustigungen den Tag beschließen.
Volkstänze und Volkstrachten
Bei allen Heidenheimer Schäferlauffesten, wie auch anderwärts,
wurden auf dem Festplatz zahlreiche alte Spiele und Tänze, wie etwa der
Hahnentanz, der Füllestanz und Hammeltanz, aufgeführt. Bei dem nach den
Walzerklängen der Pfeifer aufgeführten Hahnentanz müssen die tanzenden Paare
unter einer an einem Kranen hängenden Wassergölte (auch Becher oder Glas)
vorbei; dabei muß der Schäfer den Versuch machen, dieselbe durch einen Hochsprung
während des Tanzens mit seiner Partnerin zu erreichen und umzustürzen, ohne
dabei naß zu werden. Gelingt das dem glücklichen Paar, so erhält der Schäfer
einen Hammel als Siegespreis, die Schäferin einen Hahnen, der sich in einem
aus Weiden verfertigten, in Form einer Krone geflochtenen Korb befindet.
Der Füllestanz ist ein auf der Alb altbekanntes Schauspiel, das zur Zeit
der Kirchweih viele Hunderte in die Dörfer lockt. Ein mit Blumen und Bändern
prächtig geschmücktes Füllen oder ein Hammel wird als Preis in den mit Pfählen
besetzten Kreis geführt. Einer der Pfähle trägt an der im Boden steckenden
Spitze einen Nagel. Der eigentliche Tanz nimmt seinen Anfang; dazwischen
marschieren die Paare nach dem Klang der Musik im Kreise herum. Plötzlich
fällt ein Schuß, jedes der Paare eilt einem Pfahle zu und zieht ihn heraus.
Unter allgemeinem Jubel wird nun das Füllen oder der Hammel demjenigen Paar
zugeteilt, dessen Pfahl den eingeschlagenen Nagel trägt. Von jeher war
unsere Alb eine Hüterin der Volkstracht. Am Schäferlauftag werden alte,
vergessene Gewänder aus den Truhen geholt, um zahlreiche Älbler und Älblerinnen
mit der kleidsamen Tracht der Väter und Großmütter zu schmücken. Verschiedene
typische Einzelgruppen treten im Festzug auf, Brautwagen, eine Bauernhochzeit,
Spinn- und Kunkelstuben.
"Getreu und hold"
So mußte einst der Heidenheimer Stadtschäfer sein.
Verhaltungsmaßregeln, Vorschriften und Gesetze hat es selbstverständlich
auch bei den mittelalterlichen und späteren Schäfern schon gegeben. Sie
waren genau festgelegt und sogar recht vielseitig, so daß sie in besonderen
amtlichen Akten niedergelegt werden mußten. Wenngleich heute manche Anschauung
demgegenüber anders geworden ist, wenn auch manche Vorschrift und Verordnung
heute als eigentümlich und veraltet erscheint oder gar belustigend wirkt,
so sind diese Überlieferungen dennoch für uns wertvolle Zeugnisse für jene
längst vergangene Zeit. Aus alten Schäferlaufakten entnehmen wir nachstehend
einen Abschnitt über den "Eid des Heidenheimer Stadtschäfers".
Ihr sollet geloben und darauf einen leiblichen Eid zu Gott dem Allmächtigen
schwören, unseren gnädigsten Fürsten und Herrn, wie auch gemeiner Stadt
und Bürgerschaft Heidenheims, getreu und hold zu sein, ihren Nutzen und
Frommen zu fördern, Nachteil und Schaden zu wehren und zu wenden, den Vogten
von hochgedacht unsers gnädigsten Fürsten und Herrn, denen Bürgermeistern
wie auch Schaf- und Salzmeistern gemeiner Stadt wegen Gehorsam zu gewärtig
sein der Stadt ihre zu- und angehörige Zwäng und Bäng, auch Trieb, Trab
und Zufahrten äußerst Eurem Vermögen nach zu handhaben und wo ihr sehen
und gewahr würdet, daß Allmanden, Markt- oder Weidstein von jemanden verruckt,
verdeckt oder abgeführt werden oder daß dieselben sonst raus und ausgefallen
und dannen hero aufrichtens vonnöten, oder da sich jemanden unterstünde,
die Allmanden einzufassen, die Viehtrieb zu besämen, auch sonsten zur Verhinderung
der Weid Schaden zu tun, auch wo ihr von denen benachbarten Schäfern oder
anderen Hirten hören oder vernehmen, daß dieselben wider alte Herkommen
auf den Stadtzwäng und Bäng fahren und übertreiben, solches alsbalden gehörig
Orten anzubringen, inspecie aber sollet Ihr
-
wie alle anderen Stadtdiener und Hirten alle Jahr auf
Georgij auch um die Hueth wieder anhalten,
-
den Pferch an dem Tag Ambrosij ins Brachfeld schlagen
und darinnen bis Galli bleiben,
-
mit dem Pferch nach dem Los fürgehen, selbigen weder
vertauschen, noch vertauschen lassen, sondern wenn ein oder der andere
den Pferch nit brauchen kann noch will, solle er selbigen fahren lassen,
-
sollt Ihr auf Eurer ausgezeichneten Weid verbleiben
und nit in das verbotene, sonderheitlich nicht zwischen Sommer- und
Winterfrüchte hineintreiben und gleichsam Trieb dardurch machen,
-
mit denen Lämmern an Bartholomäi oder acht Tag hernach
wann die Ernt eingetan, aber ohne Erlaubnis des Amtsburgermeisters nicht
auf das Winterweisch, viel weniger auf die Wiesen, welche bis Galli
so verboten,
-
mit denen alten Schafen ehnder nicht als 14 Tag vor
dem alten Michaelis in das Winter- und dann acht Tag nach dem alten
Michaelis in das Sommerweisch treiben,
-
sollt ihr nicht länger bleiben als bis alten Jakobi,
damit ein rechter Auswurf gemacht werden kann, wogegen
-
ihr aus jedem Melkschaf anstatt des bisher gereichten
Käses dem Eigentumsherrn vier Kreuzer geben,
-
im Los mehres nicht dann 26 Kreuzer und außerhalb im
Los 45 Kreuzer nachts nehmen und einziehen,
-
ohne Vorwissen der Schafmeister keine fremde Schaf im
Pferch oder unter die Herd nehmen, auh wenn
-
ein Schaf anstößig wird oder c. v. krepiert, solches
gleichbalden dem Eigentumsherrn anzeigen,
-
Euch selbst der Hueth (Hut) annehmet und solche nicht
an liederlich Knecht oder Buben hengen. Übrigens aber Euch als getreu,
fleißig und gehorsamb erzeigen wie einem ehrlich und getreuen Schäfer
gebühret und wohl anstehet, alles getreulich und ohngefährlich.
-
Die Heidenheimer Schäferkronen
Sieger und Siegerin beim Schäferlauf gelten von altersher
als Schäferlaufkönig und Schäferlaufkönigin. Sie werden nach Durchführvng
des Schäferlaufs mit den im Jahr 1937 neugestalteten Kronen geschmückt.
Die Motive für die Heidenheimer Kronen deuten in erster Linie auf den Beruf
des Schäfers hin unter Berücksichtigung der Stadtfarben und des Stadtwappens.
Die Einteilung der Kronen in vier Felder versinnbildlicht die vier Himmelsrichtungen,
mit denen sich der Schäfer bei seinen Wanderungen und bei seiner täglichen
Arbeit zu befassen hat. Diese vier Felder sind durchbrochen, und die Sägearbeit
zeigt in klarer Linienführung Gras und Blumen, das Futter für die dem Schäfer
anvertrauten Tiere. Die vordere Seite zeigt bei der Krone des Schäferkönigs
einen in Silber gearbeiteten Widder und ein fressendes Schaf. Die Wolle
ist bei beiden Tieren durch Belötungen angedeutet. Darunter wurde der Heidekopf
mit der für unsere Schäferläufe wichtigen Jaihreszahl 1724 angebracht. Auch
diese Teile sind in Silber ausgeführt, und zwar in Punzenarbeit mit Belötungen.
Anschließend nach links und rechts gruppieren sich naturechte Carneole (rot)
und Calcedone (blau), die mit dem Gelb des Messings gut harmonieren. Bei
der Krone der Schäferkönigin ist auf der Vorderseite anstelle des Widders
ein Lamm. Die Kronen sind mit rotem Samt gefüttert, wodurch sich die Sägearbeit
sowie die ganzen Kronen noch besser abheben und voller und geschlossener
wirken. Die Blumen der Schäferkönigin sind mit roten Steinen und die des
Schäferkönigs mit blauen Steinen verziert.
Wiederaufnahme der
Schäferfeste nach hundertjähriger Pause
Als die Jahre nach dem ersten Weltkrieg immer wieder neue
Nöte und Drangsale brachten, und da es schien, daß die letzten Werte aus
deutschen Landen geraubt würden, erwachte wie selten einmal die Liebe und
Treue zur Heimatscholle. Nie waren wir alle so eng mit der älbischen Erde
verwachsen und erkannten und schätzten wir mehr die Schönheiten und Reize
unserer engeren Heimat. Ein Heimweh nagte an uns nach dem, wie es früher
gewesen; wir suchten uns selbst in unserer Heimat. Wir schauten zurück in
die Vergangenheit, nach den vergessenen Sitten und Bräuchen, nach den Volksfesten
unserer Vorfahren, nach den alten schwäbischen Trachten, und wir fanden,
daß bei ihnen allen das Wesen des schwäbischen Charakters einen überaus
reizvollen Ausdruck fand. So wurde im Jahre 1922, mitten in der Inflationszeit,
in mühevollen Vorbereitungen alles aufgewandt, um eine echte Neubelebung
und ein rastloses Gelingen des früheren Schäferfestes, zu ermöglichen. Es
war in keiner Weise beabsichtigt, das alte Fest mit einer übermütigen Ausgelassenheit
und einer leichtfertigen Vergnügungssucht aufzuziehen. Im Sinne der Veranstalter
und Gestalter der Festtage lag es, die Menschen in das Brauchtum der Vergangenheit
zurückzuführen, sie zu erheben und sie zu umfangen mit dem Zauber eines
längt vergessen gewesenen Heimatfestes. Die Seele des Festes, der Gesamtgestaltung
und der Idee des Festzuges war Gustav Müller, der Begründer der Heidenheimer
Volksschauspiele, in Zusammenarbeit mit dem Schafhalter Matthäus Keck in
Brenz. Mit dem Wetter sah es leider in den Herbsttagen 1922 nicht ganz
rosig aus. Der Festsamstag-Morgen war noch recht trübe; doh nach einer kalten,
sternenklaren Nacht zum Sonntag, den 17. September 1922, zeigte sich der
Himmel gerade wie geschaffen für das Heimatfest des Brenztales. Heidenheim
hatte nach nahezu hundert Jahren wieder seinen Schäferlauf. Höhepunkt der
Festtage waren das Festbankett im Konzerthaus, die Festgottesdienste, die
Abhaltung des Schäferlaufes und weiterer alter Spiele, die Gewerbeschau,
die Schloßbeleuchtung und als Glanzpunkt der ganzen Veranstaltung der farbenprächtige
Festzug: "Heidenheim hatte vordem noch keinen solchen Festzug gesehen."
Die Heimatfreunde des Brenztales interessierten sich von da an aufs neue
für die Schäferei, für das Eigenleben des Schäfers, für sein Vertrautsein
mit Hund und Herde, seine Wanderschaft durch das Land, seine Einsamkeit
auf der Heide und im Schäferkarren und seine besonderen geheimnisvollen
Kenntnisse und Fähigkeiten. In gleicher Weise wurden die Vorbereitungen
auch für die nachfolgenden Schäferläufe in den Jahren 1928, 1937, 1949 und
1952 getroffen. Die Darbietungen steigerten sich von einem Heimatfest zum
andern. Die Festzüge waren nach dem übereinstimmenden Urteil aller, die
sie erlebten, die schönsten für ein weites süddeutsches Gebiet. Es läßt
sich die Fülle an Formen und Farben, welche in überreichem Maße geboten
wurden, im einzelnen nicht anführen. Ungebundene Festesfreude zeichnete
alle Gruppen aus, und jedesmal gab es nur eine Meinung, und die war: wunderbar,
einzigartig, einmalig.
Schäferle, sag, wo
willst du weiden?
Anläßlich des Schäferfestes im Jahr 1937 wurde von Fritz
Schneider im Einvernehmen mit der Stadtverwaltung, mit dem Landesamt für
Denkmalpflege in Stuttgart und mit Herrn Landeskonservator Professor August
Lämmle die alte Volksweise des Heidenheimer Landes vom "weidenden Schäferle"
als offizielles Heidenheimer Schäferlauflied erwählt:
Schäferle, sag, wo willst du weiden? "Draußen
im Feld auf grüner Heiden Tun die lust'gen Schäfer weiden. Und ich
sag, es bleibt dabei: Lustig ist die Schäferei"
Schäferle, sag, was willst du essen! "Backene
Fisch und span'schen Pfeffer Tun die lust'gen Schäfer essen. Und ich
sag, es bleibt dabei: Lustig ist die Schäferei."
Schäferle, sag, was willst du trinken! "Roten
Wein und Zucker drinnen Tun die lust'gen Schäfer trinken. Und ich
sag, es bleibt dabei: Lustig ist die Schäferei."
Schäferle, sag, wo willst du tanzen? "Draußen
im Feld bei Musikanten Tun die lust'gen Schäfer tanzen. Und ich sag,
es bleibt dabei: Lustig ist die Schäferei."
Schäferle, sag, wo willst du schlafen! "In dem
Feld bei ihren Schafen Tun die lust'gen Schäfer schlafen. Und ich
sag, es bleibt dabei: Lustig ist die Schäferei."
Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 fanden noch zwei Schäferläufe
statt, 1949 und 1952. Beide brachten einen Massenbesuch nach Heidenheim.
Der alte Brauch lebte unverfälscht auf. Echter Frohsinn und wahre Lebensfreude
gaben den Festen ihr charakteristisches Gepräge. Die Festzüge bei strahlendem
Sonnenschein begeisterten Zehntausende, und man sprach noch lange hernach
von den "unvergeßlichen Schäferfesten". Theodor Hornberger
widmet in seinem 1955 erschienenen Buch "Der Schäfer" dem Heidenheimer
Schäferlauf während der Jahre 1922 bis 1952 folgende Worte: "Nach fast
hundertjähriger Pause erlebte das Fest in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg
eine Wiederbelebung. Die Wiederaufnahme der Tradition, die nur der ältesten
Generation vom Hörensagen bekannt war, erfolgte aus dem Bedürfnis heraus,
daß das schwäbische Volk seine ureigensten und althergebrachten Feste braucht.
50 000 Gäste waren zum ersten Schäfertag 1922 erschienen, ein Zeichen dafür,
wie stark man nach den vergangenen schweren Erschütterungen des ersten Weltkriegs
zu den ruhigen und kraftvollen Quellen schwäbischen Volkstums zurückstrebte,
aber auch ein Zeichen für das lange Zeit gehemmte Bedürfnis nach leicht
beschwingter und ungetrübter Feststimmung, das nach den Kriegsjahren sich
nun in elementarer Weise Ausdruck verschaffte. Der Heidenheimer Schäferlauf
ist wohl am meisten von allen in die Breite gewachsen und zum Volksfest
größten Ausmaßes geworden, ohne jedoch seine Eigenart als Schäferfest zu
verlieren. Ja, es wird hier, wo ein besonders bewährter Schäferschlag seßhaft
ist, fast noch stärker auf Tradition gesehen, noch peinlicher darüber gewacht,
daß die althergebrachten Tänze, Reigen und Lieder nur von wirklichen Schäfern
und Schäferstöchtern getanzt und gesungen werden, und daß die im guten Sinn
neu belebte Schäfertracht nur von Angehörigen des Standes getragen wird.
Der Nachmittag beginnt mit der Aufstellung des Festzuges. In ihm vereinigt
sich eine solche Fülle von Erscheinungen, daß Staunen und Bewunderung kein
Ende nehmen: die stilvollen Trachten der Schäfer, die in der Sonne blinkenden
Schippen, die ehrwürdigen Gestalten der Oberschäfer mit den Zeichen der
Zunft, Hahn, Hammel und Füllen als Preise für die Tänze und vieles andere.
Dabei rollen Wagen auf Wagen prächtig aufgebaut und geschmückt vorüber.
Jedes Dorf, jeder Verein, jedes Handwerk hat seinen Wagen." Seit 1952
fanden nun in Heidenheim keine Schäferfeste mehr statt. Es mangelt an der
Begeisterung für die weitere Gestaltung des Vergangenen, des Geschichtlich-Gewordenen,
dazu leider auch an einem geeigneten Festplatz. Der Chronist ist fest davon
überzeugt, daß trorz der starken Industrialisierung und der wachsenden materialistischen
Einstellung wieder einmal Heimatfreunde aus Stadt und Kreis da sein werden,
welche - allen Hindernissen trotzend und allenfalls in einer zeitgemäßen
Form - das einzige historische Volksfest des Heidenheimer Landes neu erstehen
lassen.
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